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Istanbul 2012 – 6.Tag – Durch die Puszta

Gyöngyöspata – Debrecen, 194km, gesamt 1037km

Wie sich heute früh herausstellte, kennt der Wirt der Pension in Gyöngyöspata unsere Heimat ganz gut. Er hat eine Weile bei Modul in Chemnitz gearbeitet und bis vor sechs Jahren eine Kneipe in Schwarzenberg (erst Bauernstube, dann Budapest) betrieben. Die Welt ist eben doch ein Dorf.

Wir sind gegen 07:50 los und Dank Rückenwind wieder schnell und anstrengungsarm vorangekommen. In Gyöngyös waren wir gerade beim Studium von Karte und GPS, um den richtigen Weg zu finden, als uns ein Radfahrer, der in Gegenrichtung unterwegs war, seine Hilfe anbot. Er ist dann einfach nochmal mit uns zurück nach Osten geradelt, um uns einen Schleichweg über die Bahngleise zu zeigen. Er erzählte, dass er ab nächstem Wochenende eine Städtereise durch Sachsen und Thüringen machen will. Auf seinem Programm stehen Freiberg, Pirna, Dresden, Meißen und Jena. Die Welt ist wirklich nur ein Dorf.

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Sonnenblumen überall

An einem Dorfladen wurde Wasser, Apfelsaft und Eistee erstanden. Der Radler lebt schließlich nicht vom Bier allein. Ein nebenan parkender Autofahrer fragte nach dem woher und wohin, und meinte dann „Großer Sport“. Wir haben uns darauf geeinigt den Leuten ab sofort gleich zu sagen wohin wir wirklich wollen. Bisher kamen wir uns immer wie Hochstapler vor, wenn wir erzählt haben nach Istanbul zu radeln. Aber nach einem Drittel der Wegstrecke kann man es vielleicht erwähnen, ohne rumzueiern.

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Storchennest

Durch ländliche, topfebene Gegend gelangten wir bis an den Theiß-Stausee (ung. Tisza-Tö). Ein EuroVelo-Radweg führt auf dem Damm um diesen herum. Eingangs Poroszlo machten wir in einem Biergarten unsere Mittagspause (94km). Da wir bei der Hitze keinen größeren Appetit verspürten gaben wir uns mit jeweils einem Liter Fassbier zufrieden.

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Tisza-Tö

Danach ging es wieder 20 km weiter auf den Damm der Theiß. Wir spulten mit dem Wind im Rücken unseren 25er Schnitt runter als uns ein Radfahrer aus dem Gegenverkehr zum Halt aufforderte. Er hatte aber keine Panne, sondern war nur an einem Schwatz über woher und wohin interessiert. Mitunter erregt man doch ziemliches Aufsehen mit den vollgepackten Rädern.

Ja verrückt: Gerade als ich hier im Straßencafe den Text tippe, fragt ein älteres Ehepaar wohin wir wollen. Nachdem sie uns alles Gute gewünscht haben, stellte sich heraus, dass den alten Leutchen auch Leipzig usw. bekannt war.

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Schnurgerade durch die Puszta

Nach dem Plausch verließen wir den Damm der Theiß, um auf einer beinahe schnurgeraden Straße 30 km durch die Pußta nach Balmazujvaros zu jagen. 13 km waren wirklich wie mit dem Lineal gezogen und dank des immer noch anhaltenden Rückenwindes (28er Schnitt) kein Problem. Allerdings war es manchmal eine ganz schöne Holperpiste, so dass die ohnehin schon empfindlichen Reibezonen der Fahrer arg geschunden wurden.

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1000km

In Balmazujvaros gönnten wir unseren Kehlen erneut 2 kühle Blonde. Immerhin gab es seit 64 km nur warme Apfelschorle aus der Plastebuddel.

Wir beschlossen, entgegen der ursprünglichen Planung, direkt durch Debrecen zu fahren. Die 20km bis dahin waren schnell abgestrampelt, aber dann ging das Chaos los. Die Verkehrsführung war mehr als eigenartig – kaum Wegweiser, bucklige Radwege, unzählige rote Ampeln. Wir waren schon froh, dank GPS eine Ausfallstraße in die richtige Richtung gefunden zu haben. Leider war der dann folgende Fahrweg nur ein elendiger Sandweg. Das Befahren macht mit so einer Fuhre und nach 190km kein bissel Spaß. Zumindest hatten wir nach 2km wieder feste Straße unter den Rädern. Debrecen ist eine völlig unattraktive Industriestadt, die uns schwer an Karl-Marx-Stadt erinnerte.

Da in dem Nest auch keine Unterkunft zu finden war, beschlossen wir, die naheliegende Jugendherberge aufzusuchen. Hier schien alles wie ausgestorben.

Dann fanden wir doch noch eine Angestellte, die (mangels jedweder Fremdsprachenkenntnisse) sofort eine Handyverbindung zu ihrer Chefin herstellte. So bekamen wir das ok zur Übernachtung. Zimmer (4 Mann-Zimmer, Doppelstockbetten) und Sanitäranlagen erinnerten an beste Ferienlagerzeiten. Das störte uns aber nicht, waren wir doch ganz alleine weit und breit.
Nach gutem Zureden hatte die fremdsprachgewaltige Chefin ein Einsehen und ließ für uns noch Essen kochen. Allerdings mit der Einschränkung: hungarian food only. Sehr erstaunt waren wir dann, als uns eine sauleckere, kräftige Bohnensuppe und Schnitzel mit Reis serviert wurden.

Karte

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Istanbul 2012 – 5.Tag – Vom Winde geweht

Nitra – Gyöngyöspata, 185km, gesamt 843km

Wir sind nach einem ausgezeichneten Frühstück, Hemendex (die Slowaken schreiben das wirklich so), gegen Acht gestartet. Die Pension werden wir in guter Erinnerung behalten, alles sehr ordentlich, freundliche Leute und ausgezeichnetes Essen. Das „Lammknie“ gestern abend war richtig gut.

Heute scheint wieder die Sonne, nur wenige Wolken bringen manchmal etwas Schatten. Die Temperatur ist im optimalen Radlerbereich, so um die 24 Grad vielleicht. Und wir haben einen richtig starken Rückenwind.

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Große Sonnenblumenfelder

Aus Nitra waren wir schnell raus. Nach Verlassen der Hauptstraße sind wir durch kleine Dörfchen gerollt.

In einigen davon läuft noch (wahrscheinlich jeden Morgen) eine öffentliche Beschallung über Lautsprecher die an Straßenmasten hängen. Die slowakische Kommandosprache hatte uns an den Lagerfunk in DDR-Ferienlagern erinnert. Wir rätseln die ganze Zeit rum, wieso die Leute sowas noch haben wollen. Ob da der Bürgermeister jeden Morgen die „Losung des Tages“ ausgibt??? Vielleicht gab es auch einen Aufruf, künftig immer Fahrradhelme bei sich zu führen. In einer Gegend hatten nämlich alle Radfahrer Helme (vom alten Opi der seinen Helm noch über der Dachmütze trug, aber mit seiner 8 im Hinterrad unmöglich über 15 km/h kommen kann; bis zu mehreren Omis die den Helm wenigstens artig im Einkaufskorb oder am Lenker hängend spazieren fuhren). Es sah jedenfalls so aus, als ob eine Helmmitführungspflicht bestanden hätte. Im nächsten Ort waren wir wieder die einzigen Helmträger weit und breit.

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man paßt fast drunter durch

Bei km 48 querten wir den Fluß Hron und folgten diesem für ca. 12km in südliche Richtung. 2008 waren wir, von der Donau kommend, schonmal hier unterwegs, allerdings in der Gegenrichtung.

Nach einer Minipause am Dorfkonsum, Milch für den Magen, Apfelsaft in die Trinkbuddel, ging es mit Highspeed weiter nach Südosten.

Kurz vor Eins genehmigten wir uns bei km 103 das Mittagsbier an der Dorfkneipe in einem kleinen Nest im Ipel-Tal, welches auch die Grenze zu Ungarn bildet. Dabei haben wir heute vormittag wohl einen persönlichen Rekord auf schwerbeladenen Rädern aufgestellt – fast 25km/h im Schnitt.

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Schnellfahrt nahe des Ipel

Auch mit Bier in der Blutbahn ging es in rasantem Tempo (mitunter 35 km/h auf der Geraden) weiter. Das komische am Rückenwind ist, dass man so federleicht wie auf dem Rennrad fährt, aber keinerlei Windgeräusche hat. Man hört nur das angenehme Brummen der Reifen.

Schnell war die ungarische Grenze erreicht. Im Grenzort hat Falk schnell paar Forint abgehoben. Interessant sind hier die Ortsnamen. Namen wie Szurdokpüspöki, Cserhátszentiván oder Gyöngyöspata bleiben sofort und bestimmt für immer im Gedächtnis haften. Nach Herenceny wurde Ungarn unerwartet bergig. Es ging also in schöner Landschaft stetig bergan. In Alsotold waren schon 153km zurückgelegt. Um der Unterhopfung vorzubeugen wurde eine Pause eingelegt, Gerstensaft getrunken und ein Gulasch verdrückt.

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Blick hinab auf Alsotold

Danach ging es zunächst weiter den Berg hoch, um dann in rasanter Schußfahrt nach Paszto hinabzusausen. Die Fernverkehrsstraße 21 war für Fahrräder gesperrt. Da es aber keine Alternative gab, haben wir das, auch der Empfehlung anderer Radreisender folgend, einfach ignoriert.

Wir sind dann in Gyöngyöspata in einer recht ordentlichen Pension abgestiegen.

Geschrieben von Frank

Karte

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Istanbul 2012 – 4.Tag – Im Straßenkampf/Wir gegen alle

Dolní Věstonice – Nitra, 170km, gesamt 658km

Wir sind früh aus den Federn und ohne erst zu frühstücken gegen dreiviertel Sieben losgerollt.

Über Nacht hatte es kräftig gewittert. Jetzt war der Himmel bedeckt. Anfangs tröpfelte es nur, aber dann regnete es sich ein.

Das Frühstück haben wir in Ledice nachgeholt. In Ermangelung eines Bäckers mussten Hörnchen und Schoko-Croissants aus dem Supermarkt reichen.

Da Frank bei der Routenplanung am Vorabend eine Karte überblättert hatte, mussten wir 5 km Umweg fahren. Nach 27 km hatten wir genug und holten die Regenjacken aus der „biesen Tasch“ (zur Erklärung: eine Tasche ist immer die böse Tasche, weil da alle die Sachen drinne stecken, die man am besten nie braucht, wie z. B. Werkzeug, Ersatzteile, Verbandszeug, Medizin, Regenklamotten, dicker Pullover usw.)

Bis zur slowakischen Grenze bei Hodonin hatten wir schließlich 51 km auf dem Tacho.

Im Anschluß führt leider nur eine vielbefahrene Fernverkehrsstraße Richtung Senica. Ab Radosice gab es eine schöne ruhige

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Ausweichroute. Nachteil dabei: es ging sinnlos über den Berg und das mit 12% Steigung.

Daraufhin ließen wir uns ein Mittagsbier in Senica schmecken und warteten den heftiger werdenden Regen erstmal ab.

Als der Regen nachließ schwangen wir uns wieder auf und kämpften weiter auf der Fernverkehrsstraße. Das macht echt keinen Spaß, ließ sich aber in Ermangelung einer Alternativroute nicht vermeiden.

Bei km 121 gefiel uns ein Hostinec und wir ruhten uns eine Dreiviertelstunde bei Bier und leckeren Spaghetti aus. Diese Mischung geht erfahrungsgemäß schnell in die Beine, so dass wir frisch gestärkt die letzten km unter die Pneus nehmen konnten.

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Falk hatte jetzt seine Musik aufgesetzt um dem unerträglichen Verkehrslärm ein wenig abzudämpfen. Irgendwann schaltet man dann in so eine Art Autopilot um und strampelt nur noch teilnahmslos durch die Gegend.
Diese Etappe hat nicht wirklich Spaß gemacht, gehört aber auch zur Tour um das eigentliche Ziel zu erreichen. Abgestiegen sind wir bei km 170 in Nitra (drittgrößte slowakische Stadt nach Bratislava und Kosice) in einer sehr schönen Pension. Morgen geht es wieder weg von den doofen Ferverkehrsstraßen. Eigentlich sollten wir morgen Ungarn erreichen.

Geschrieben von Falk

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